Geschichte der Fronleichnamskirmes
Rätsel gelöst: Die Kirmes Gibt's seit 1829
Fronleichnam ist Kirmes in Sterkrade. Diese Erkenntnis gilt „seit Generationen“. Wann die Fronleichnamskirmes jedoch zum ersten Mal im Schatten der Clemenskirche abgehalten worden ist – darüber konnte bisher nur spekuliert werden.
Bisher! Denn zwei ambitionierte Heimatforscher aus dem Oberhausener Norden brachten jetzt Licht ins Dunkel der Kirmesgeschichte. Thomas Pawlowski-Grütz und Peter Gnaudschun stießen bei Recherchen zur Geschichte von Königshardt im Landesarchiv NRW auf einen Schriftwechsel, der den Ursprung der Sterkrader Fronleichnamskirmes klar beschreibt. Und das kam so …
Es war gerade ein paar Tage nach Aschermittwoch des Jahres 1825, als Bürgermeister Friedrich Anton Meurs einen Antrag an den zuständigen Landrat des Kreises Duisburg aufgesetzt hatte. Meurs unterschrieb sein Schriftstück am 21. Februar 1825, einem Montag. Anlass für seinen Antrag war eine gewisse Unzufriedenheit in Sterkrade, das zu seiner Bürgermeisterei Holten-Beeck gehörte. In Sterkrade war man nicht glücklich, weil es nur einen einzigen Markttag gab.
Bürgermeister Meurs hatte deshalb geschrieben, dass „die Gemeinde Sterkrade, welche bisher nur einen Markttag im Herbste halte, [..] schon früher und neuerdings wiederholt den Wunsch geäußert [hat], dass ein zweiter Jahrmarkt am Tage des Fronleichnams-Festes, dieses Jahr auf den 2.6. fallend, und den folgenden Tag Viehmarkt angeordnet werde.“
Ein zweiter Markttag in der Gemeinde - der „Markttag im Herbste“ fand traditionell am 26. September statt - schien tatsächlich nicht zu viel für einen aufstrebenden Industrieort wie Sterkrade. In jenen Jahren zog die Gutehoffnungshütte immer mehr Menschen an und entsprechend rasch stieg auch die Einwohnerzahl: Lebten 1810 gerade 457 Menschen in Sterkrade, waren es 1823 bereits 1138 Einwohner, 1837 waren es 1477!
Was war also gegen den Wunsch nach einem zweiten Markttag einzuwenden in einer Zeit, als der Wochenmarkt in Sterkrade noch in ferner Zukunft lag [die Bezirksregierung genehmigte einen wöchentlichen Markt für Sterkrade am 9. Oktober 1835]
Der Landrat zu Duisburg, Anton Devens, blieb dem Bürgermeister von Holten-Beeck zunächst eine Antwort schuldig. Stattdessen leitete er das Schreiben weiter nach Düsseldorf, an die Bezirksregierung. Das Schreiben traf dort im März ein - und wurde prompt abschlägig beantwortet. Die Bezirksregierung beauftragte den Landrat, das den Behörden in Holten-Beeck mitzuteilen. Und sie hatte ihre Ablehnung auch begründet: „Die Zahl der in unserem Verwaltungsbezirk vorhandenen Kram- und Viehmärkte ist bereits so übermäßig groß, dass zur Belebung des Verkehrs weit mehr ihre Verminderung als Vermehrung zu wünschen ist. Wir können daher das Gesuch der Gemeinde Sterkrade und zwei neue Jahrmarktstage keineswegs ihrem wahren Interesse angemessen finden, und beauftragen Sie, hiernach dieselbe abschlägig zu bescheiden.“
Es blieb also vorerst dabei – Sterkrade behielt seinen Markt im Herbst, und an Fronleichnam zog die Prozession durch die Gemeinde, ungestört von Markt- und Händlerständen. Doch der Wunsch blieb. Bürgermeister Meurs jedenfalls fand eine Lösung, die, wie er vielleicht vermutete, allen Beteiligten entgegen kam: Kurzentschlossen verlegte er selbst den Markttag. Damit folgte er einerseits der Argumentation seiner vorgesetzten Behörden, denn weiterhin gab es nur einen Markt in Sterkrade, und zugleich entsprach er andererseits den Wünschen der Sterkrader, die ja ihren Jahrmarkt an Fronleichnam halten wollten. Nur vergaß der Bürgermeister, seine Lösung auch durch Bezirksregierung und Landrat genehmigen zu lassen!
Ans Tageslicht kam diese Eigenmächtigkeit, als sein Amtsnachfolger über den Verwaltungsakten brütete. Bürgermeister Ernst Beudel war erst seit kurzem im Amt nach dem plötzlichen Tod seines Amtsvorgängers Meurs (1830). Während Ernst Beudel intensiv die Marktverzeichnisse seiner Gemeinde prüfte, stolperte er über einen Eintrag vom 11. November 1829. Dort hieß es doch tatsächlich, in Sterkrade würde Fronleichnam Markt gehalten. Weitere Recherchen ergaben, dass in der Tat „der Jahrmarkt zu Sterkrade seit dem Jahre 1829 nicht mehr am 26. September, sondern am Fronleichnamsfeste gehalten“ wurde. Der Jahrmarkt in Sterkrade hatte also an Fronleichnam, am 18. Juni 1829, stattgefunden! Nur fand Bürgermeister Beudel nirgendwo die obrigkeitliche Verfügung, die eine Verlegung des Marktes angeordnet hatte.
Beudel entschloss sich, den Dienstweg zu beschreiten, und unterbreitete diese Angelegenheit dem Landrat. Landrat Devens konnte seinerseits nur feststellen, die Verlegung sei „ohne die erforderliche Genehmigung von dem verstorbenen Bürgermeister Meurs willkürlich angeordnet“ worden, und er leitete den Vorgang wieder ordnungsgemäß weiter nach Düsseldorf. Die Bezirksregierung sah sich offenbar vor vollendete Tatsachen gestellt, aber sie genehmigte mit ihrer Verfügung vom 24. August 1833 die Verlegung des Jahrmarktes – und genehmigte so den Beginn einer Tradition, die Fronleichnam 1829, also am Donnerstag, den 18. Juni, durch eigenmächtiges Handeln des Bürgermeisters Friedrich Anton Meurs ihren Anfang genommen hatte.
Somit hat Sterkrade seinen Jahrmarkt, der sich aus einer uralten Tradition entwickelt hatte, erstmals 1829 an Fronleichnam durchgeführt. Und was damals eher beschaulich als Kram- und Viehmarkt mit „sechs bis acht Krämern“ (so ein Dokument von 1831) begann, hat sich bis heute zu einem Ereignis entwickelt, das Jahr für Jahr Millionen Besucher anlockt und „in den letzten Jahren zu einer der größten Innenstadt- und Straßenkirmessen Deutschlands“ geworden ist – ein liebenswerter Publikumsmagnet, der sogar „Besucher aus den Niederlanden und aus Belgien“ anlockt: Das schönste Volksfest, das es gibt, begann am 18. Juni 1829.